Nachbericht zu Wissenschaftsseminar
Nudging – per Stups gesünder?

Nudging – als Stups in eine gewünschte Richtung ist derzeit ein kontrovers diskutiertes Thema. Angesichts der stetig zunehmenden Anzahl an übergewichtigen und adipösen Menschen in Deutschland, scheint ein Stups zur besseren Essenswahl dringend nötig. In Zusammenarbeit mit der Universität Bayreuth veranstaltete das KErn am 5. Februar 2019 das Wissenschaftsseminar „Nudging - per Stups gesünder?“ Die Beiträge der Referenten zeigten, dass sich Nudging in der Gemeinschaftsverpflegung und im Alltag von Studierenden zur Gesundheitsförderung einsetzen lässt und das ohne Zwang und Restriktionen.

Seit Jahren steigen in Deutschland die Übergewichtsraten an, so dass mittlerweile über die Hälfte der Deutschen übergewichtig ist (EuroStat (2016): Fast jeder sechste Erwachsene in der EU gilt als Adipös). Viele bereits durchgeführte Informationskampagnen zum Thema Ernährung/Bewegung und Übergewicht wollen diesem Trend entgegenwirken, kommen jedoch nicht alleine gegen die weiterhin steigenden Raten an. Eine in Deutschland noch wenig bekannte Methode, das so genannte Nudging (engl.: Stups), könnte eine Chance sein, dem Übergewicht entgegenzuwirken. Nudging bezeichnet eine unbewusste Beeinflussung der Verhaltensarchitektur, die zu einer vorhersehbaren Verhaltensänderung führen kann, ohne auf Restriktion oder finanzielle Anreize zurückzugreifen (Purnhagen, Kai (2016): Nudging Germany? Herausforderungen für eine Verhaltensbasierte Regulierung in Deutschland, Zeitschrift für Europäisches Pivatrecht.). Unter dem Motto „Nudging – per Stups gesünder?“ hat das KErn in Zusammenarbeit mit der Universität Bayreuth am 5. Februar 2019 ein Wissenschaftsseminar veranstaltet. Namhafte Referenten aus dem In- und Ausland griffen das immer wieder kritisch diskutierte Thema aus Sicht der Rechtswissenschaft, Beratung, Sport- und Ernährungswissenschaft auf.

Die Veranstaltung "Nudging - per Stups gesünder?" war komplett ausgebucht

Bild von Kai Purnhagen

© Kai Purnhagen

Nudging – was ist das? Blick über den Tellerrand: Initiativen im In- und Ausland
Mit einer Einordnung von Nudging und einigen daraus resultierenden grundlegenden Fragen eröffnete Dr. Kai Purnhagen die Reihe der Vorträge. Ist „Nudging“ beispielswiese Manipulation? Lassen sich durch „Nudging“ überhaupt relevante Wirkungen erzielen, denn der Entscheidungskontext eines Menschen wird durch eine Vielzahl von Reizen beeinflusst. Doch gerade die Flut an Einflüssen und die Umwelt ganz allgemein bietet laut Dr. Purnhagen die Basis für Nudging. Er stellte damit bereits wichtige Diskussionspunkte in den Raum, auf die im Laufe der Veranstaltung von den Referenten und Teilnehmern immer wieder eingegangen wurde. Nudges sollen per Definition zu einem sozial wünschenswerten Ziel führen (wie beispielsweise Nachhaltigkeit und Gesundheit) und keine Entscheidung ersetzen. So sind sie kostengünstige Lösungen, die in die Entscheidungsarchitektur des Individuums einfließen. Robuste Empirie und wissenschaftliche Begleitung sollte jedem Nudge zugrundeliegen. Prominentes Beispiel für Nudges ist die Fliege im Pissoir, die die Putzkosten deutlich senken konnte. Aber auch abschreckende Informationen auf Zigarettenpackungen oder aktuelle Informationen zum Energieverbrauch (auf Staubsaugern und Waschmaschinen) zählen zu Nudging. Seine internationale Betrachtung von Nudging-Initiatven im In- und Ausland kommt zu dem Schluss, dass es in Deutschland noch Einiges an unausgeschöpftem Potential gäbe. „Eine Vielzahl an relevanten internationalen Nudging-Programmen sind mir bekannt, darunter Nudging-Einheiten in den Vereinigten Königreichen, USA, Australien und Singapur.“ In seiner Präsentation fand sich keines aus Deutschland.
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© Prof. Achim Spiller

Von der Zuckersteuer über Empowerment bis hin zum Nudging: Einordnung unterschiedlicher ernährungspolitischer Maßnahmen
Der Handlungsdruck steigt: Adipositas, Senkung des Fleischkonsums und Klimaschutz stellten laut Prof. Dr. Achim Spiller von der Universität Göttingen große Herausforderungen für die Ernährungspolitik dar und rückten das Handeln des Verbrauchers immer mehr in den Fokus. Er präsentierte das gesamte Spektrum möglicher Maßnahmen, die für eine effektive Ernährungspolitik notwendig sind. Sein Credo war, weg von einer alleinigen Informationspolitik hin zu einem zielgruppenspezifischen Instrumentenmix zu gelangen, der größere Wirkung zeigt. Steuerliche Maßnahmen (wie die Zuckersteuer), klassische Ernährungsbildung, Empowerment und Nudging sind Maßnahmen, welche Verhalten beeinflussen können, allerdings jedes für sich nur begrenzt. Die Politik ist aus seiner Sicht gefordert, strategisch aufeinander abgestimmte Maßnahmen zu planen, diese zielgerichtet einzusetzen, Synergieeffekte zu nutzen und die Gesellschaft im Diskurs auch mitzunehmen. „Wir haben uns in der Ernährungspolitik alleine mit informationspolitischen Maßnahmen viel zu lange aufgehalten“, so Prof. Spiller. „Damit erreichen wir nur Teile der Gesellschaft und gerade Problemzielgruppen überhaupt nicht.“
Prof. Dipayan Biswas

© Prof. Dipayan Biswas

How Sensory Ambient influence Food Choices
Prof. Dr. Dipayan Biswas gestaltete seine Vortragszeit interaktiv mit einigen visuellen Tricks, die aufzeigten, wie unsere Wahrnehmung unbewusst beeinflusst werden kann. Er erklärte wie sensorische Reize, z.B. Geruch, Geräusche und visuelle Gestaltungen gezielt das Handeln von Verbrauchern lenken können. Er ging an dieser Stelle besonders auf die Hintergrundfarben Rot und Blau ein und zeigte auf, dass rote Wände oder rote Teller im Vergleich zu Blau zu einer negativen Lebensmittelauswahl führen.
Andreas Souvaliotis

© Andreas Souvaliotis, Gründer von Carrot Rewards

Carrot Rewards – reinventing the path to impact
Andreas Souvaliotis, der Gründer von Carrot Rewards - der ersten staatliche unterstützten Gesundheits-App in Kanada, die Nudging einsetzt - fesselte die Zuhörer mit überraschenden Erfahrungen aus der Zusammenarbeit mit der kanadischen Regierung in Sachen Nachhaltigkeit und Gesundheitsförderung und zum Nutzerverhalten der App-Anwender. Er schilderte, wie sich die Regierung Kanadas bei ihm meldete, um mit ihm zu kooperieren und seine App für die Gesundheitsförderung „Carrot Rewards“ der kanadischen Bevölkerung großflächig einzusetzen. Diese App belohnt ihre Nutzer mit Punkten verschiedener Programme, vergleichbar mit dem Payback-Programm. Hier erhalten Teilnehmende Punkte für beispielsweise eine gewisse Anzahl an Schritten pro Tag oder der Teilnahme an Gesundheits- und Nachhaltigkeitsquizzes, die dann, je nach Programm, sich irgendwann gegen Belohnungen eintauschen lassen, wie etwa Flugmeilen. Viele Fragen vom Auditorium drehten sich um die datenschutzrechtlichen Hintergründe der App. Sorgen dahingehend entgegnete er mit den strengen Datenschutzrichtlinien Kanadas und der Transparenz der Datenverarbeitung, die dem Unternehmen das wichtigste Kapital beschert: Nutzervertrauen.
Prof. Gertrud Winkler

© Prof. Gertrud Winkler

Gesundes Essen leicht(er) machen – smarte Lunchrooms in der Gemeinschaftsgastronomie
Das Projekt „smarte Lunchrooms“ ist eine Projektkooperation zwischen dem Kompetenzzentrum für Ernährung, der Hochschule Albstadt-Sigmaringen und der Techniker Krankenkasse. Prof. Dr. Gertrud Winkler stellte Ergebnisse des Projekts vor. Die Professorin ging dabei auf Fragen, ob beispielweise Nudging in der Gemeinschaftsgastronomie wirkt, wie Nudging aussehen kann und wie Einrichtungen in der Gemeinschaftsverpflegung Nudging richtig machen.Sie stützte sich dabei, neben ihrer eigenen Untersuchungen, auch auf anderen Metaanalysen die zeigen, dass Nudging in der Gemeinschaftsgastronomie eine positive Beeinflussung auf das Essverhalten der Gäste ausüben kann. Die teilnehmenden Einrichtungen nutzten beispielsweise auffällige Schilder für gemüselastige Gerichte, betonten vegetarischen Gerichten auf der Menü-Karte oder präsentierten Stückobst attraktiv auf Etagiere. Durch diese Maßnahmen konnte das Projektteam zweistellige Zuwachsraten bei gewünschten Angeboten bzw. Reduktionen von Süßigkeiten oder Süßgetränke erzeugen. Das Fazit lautete, dass Nudging immer individuell, am besten mit einer Ortsbegehung, gestaltet werden sollte. Alle involvierten Akteure sollten mit einbezogen werden, um einen effizienten Nudging Ansatz in der Praxis umzusetzen.
Prof. Susanne Tittlbach

© Prof. Susanne Tittlbach

Smart Moving – beweg‘ Dich und Deine Uni
Gefördert von der Techniker Krankenkasse als Modellprojekt sowie unter Beteiligung der Universitäten Bayreuth und Regensburg ist das Projekt Smart Moving entstanden. Prof. Dr. Susanne Tittlbach von der Universität Bayreuth stellte das Projekt vor. Die Ziele sind eine Erhöhung der Alltagsbewegung und Reduzierung der Sitzzeiten, sowie Handlungsempfehlungen für Hochschulen im Allgemeinen. Ein wichtiges Merkmal dieses Projekts ist die Partizipation der Studierenden, die maßgelich durch einen Ideen-Wettbewerb für Konzepte zur Förderung der Alltagsbewegung an den beiden Projekt-Unis durchgeführt wurde. Eine Umsetzung der Maßnahmen soll ab Frühjahr 2019 beginnen und die Evaluation soll ab Herbst 2019 stattfinden. Wir sind gespannt auf die Ergebnisse.
Dr. Juliane Yildiz

© Dr. Juliane Yildiz

Der Stups für die Umwelt: Nachhaltiger Konsum & Nudging
Dr. Juliane Yildiz betrachtete Nudging speziell aus der Perspektive der Nachhaltigkeit. Nachhaltige Ernährung wird von vier Dimensionen beeinflusst: Gesundheit, Gesellschaft, Umwelt und Wirtschaft. Da die Nachhaltigkeit ein politisch anerkanntes Ziel ist (Agenda 2030), sollten möglichst effiziente Strategien genutzt werden, die einen Mix verschiedener Instrumente involvieren. In ihrem Vortrag stellte die Experten Default-Nudges vor. Dies sind Voreinstellungen, beispielsweise bei der Eintragung als Organspender. Das gezielte Darstellen von Verhaltensweisen von einer großen Masse oder einer autoritären Person, woraus folglich andere Personen zu einem ähnlichen Verhalten gestupst werden, stellt ebenfalls einen Nudge dar, der sozialer Konformismus genannt wird. Das Fazit von Dr. Juliane Yildiz lautet „Für eine nachhaltigere Welt bedarf es eines gesamtgesellschaftlichen Engagements“.
Elevator Pitch: Dr. Mathias Krisam
Dr. Mathias Krisam stellte seine nationale Initiative für Nudging in der Gesundheitsförderung vor. Er ist Veranstalter der Konferenz „Nudging in der Gesundheitsförderung“. Der Fokus soll dabei auf handlungsorientierten Workshops mit Teilnehmenden aus den verschiedenen Fachrichtungen, Berufen und Interessensgebieten liegen. Das Ziel: die Erarbeitung greifbarer und umsetzbarer Vorschläge zur weiteren Anwendung. Weitere Informationen zu seiner Plattform erhalten sie unter

Nudging in der Gesundheitsförderung Externer Link

Elevator Pitch: Dominik Protschky
Dominik Protschky stellte seine noch in Entwicklung befindende App Cobee vor. Diese soll über einen Gamification-Ansatz nachhaltige Verhaltensweisen fördern. Für die Zukunft sind einige Use Cases geplant, wie: Bring your own Cup; Green Events oder Car Sharing.
Dr. Max Vetter

© Dr. Max Vetter

Nudging: Vom Potential wirksamer Maßnahmen jenseits des Homo oeconomicus
Große gesellschaftliche Herausforderungen, wie Übergewicht, der Klimawandel oder die Altersvorsorge sind verhaltensbasiert, weshalb ein Ansatz zur Beeinflussung von Verhalten logisch erscheint. Dr. Max Vetter stellte einige Chancen des Nudgings vor, wie die Annäherung an ein realistischeres Menschenbild. Das Modell des Homo oeconomicus geht von einer Kosten-Nutzen Abwägung aus und das Entscheidungen objektiv und rational stattfinden. Die Verhaltensforschung hat gezeigt, dass dies nicht der Realität entspricht, denn Entscheidungen werden häufig unbewusst und emotional gefällt. Auf diesem realistischeren Menschenbild fußt der Nudging-Ansatz. Dr. Max Vetter befasste sich weiter mit der Frage, wie Verbraucher Nudging wahrnehmen würden. Er stellte Studien vor, die die Verbraucherperspektive einnehmen und kam zu dem Schluss, dass Verbraucher (Health) Nudges mehrheitlich befürworten. Das Ende seines Vortrags nutzte Dr. Max Vetter, um häufig genannte Kritikpunkte des Nudgings sachlich zu erwidern, wie dass Nudging die Weiterbildung der Gesellschaft verhindern würde. Allerdings war der Konsens aller Referenten an diesem Tag, dass Nudging kein anderes Instrument, wie Bildungskampagnen ersetzen soll/muss, sondern parallel stattfinden sollte.
Führt Nudging zur „Glücksdiktatur“ oder brauchen wir wirksamere Maßnahmen damit Gesundheitsförderung gelingt?
Dr. Max Vetter, Dr. Kai Purnhagen, Prof. Dr. Gerd Harzer, Marcus Otto und Prof. em. Dr. Hannelore Daniel führten abschließend eine Diskussion zum Thema „Glücksdiktatur“. Die Diskussion zeichnete sich durch exzellente Expertise aller Diskussionspartner aus, in der neben direkt Nudging bezogenen Fragen sowohl rechtliche als auch ernährungsphysiologische Fragen thematisiert wurden. „Es braucht ein gewaltiges Bündel von Initiativen. Und meine Befürchtung ist, dass wir in 10 Jahren hier wieder stehen und die gleiche Forderung stellen.“ Mit diesem Statement begann Prof. em. Dr. Hannelore Daniel die Diskussion und fügte hinzu, dass das eigentlich schon die abschließende Antwort wäre.
Dr. Kai Purnhagen führte die Diskussion weiter: „Nudging selber sagt uns noch nichts darüber, wie reguliert wird. … Nudging nimmt uns nicht die Frage ab, wie wir Zielkonflikte lösen wollen … wer ist eigentlich derjenige, der darüber bestimmt was genudgt werden soll? Denn Nudging ist letztlich nicht anders als eingesetzte Incentives oder Regulierung, einem bestimmten Ziel verpflichtet, das formuliert werden muss.“ Es wurde klar, dass es keine pauschale Antwort auf Nudging gibt und dies sieht auch der Geschäftsführer der Zuckerindustrie e.V. Marcus Otto so: „Beim Nudging gibt es pauschal kein gut oder kein schlecht, sondern es kommt ganz konkret auf die einzelne Maßnahme an.“ Das Fazit des Tages war, dass es einen vielfältigen Instrumentenmix braucht, um aktuelle gesellschaftliche Probleme zu lösen, worin Nudging durchaus einen Anteil bekommen sollte.