Faktenübersicht
Mit Novel and Future Foods (NFFs) das Treibhauspotenzial, den Wasserverbrauch und die Landnutzung reduzieren?

Die Studie im Überblick

„Incorporation of novel foods in European diets can reduce global warming potential, water use and land use by over 80 %“

Short-Facts:

  • Vegane, flexitarische und neuartige Ernährungsweisen haben alle das Potenzial die Umweltauswirkungen zu reduzieren – um 81 bis 87 Prozent.
  • Die optimierten Diäten gehen allerdings mit einer strengen, theoretischen Restriktion in der Lebensmittelauswahl einher, welche in der Praxis aktuell nicht zu realisieren sind.
  • Durch die Anreicherung mit Mikronährstoffen könnten neuartige Diäten mit Novel and Future Foods (NFFs) gesundheitliche Nachteile gegenüber der derzeitigen Ernährungsweise kompensieren.
  • Gemäßigter Fleischkonsum könnte das globale Ernährungssystem effizienter gestalten.
  • Die rein mathematische Optimierung der Studie vernachlässigt die Unsicherheiten der tatsächlichen Umwelt- und Gesundheitseffekte der unterschiedlichen Ernährungsweisen (Energiebedarf und THG).

Hintergrund

Gegenüberstellung von Dürre und saftiger Wiese

© ELG21 - Pixabay

Laut Schätzungen wird die Weltbevölkerung bis 2050 auf rund 10 Milliarden Menschen anwachsen. Für eine nachhaltige Ernährungssicherung müsste die globale Nahrungsmittelproduktion um 70 Prozent gesteigert werden. Das zukünftige Ernährungssystem steht vor der Herausforderung, ausreichend Nahrung zu produzieren und gleichzeitig die Umweltbelastungen (Landnutzung, Flächen- und Wasserverbrauch und Treibhausgasemissionen) zu senken, um die Umwelt- und Klimakrise nicht weiter zu verschärfen (IPCC 2022). Laut einer finnischen Studie könnten in diesem Zusammenhang neuartige Lebensmittel, sogenannte Novel and Future Foods (NFFs), die Lösung sein, den steigenden Nahrungsmittelbedarf zu decken, ohne die Umwelt weiter zu belasten: Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass mit einer ökologisch optimierten Ernährung die Menschen in Europa sowohl den Land- und Wasserverbrauch als auch den Ausstoß von Treibhausgasen um jeweils 80 Prozent reduzieren könnten.

 

Ergebnisse

Egal ob vegan, flexitarisch oder neuartig – die Ernährungsweisen haben alle das Potenzial die Umweltauswirkungen zu reduzieren. Im Vergleich zur derzeitigen konventionellen Kost senkte eine ökologisch optimierte omnivore, aber auch eine rein vegane Ernährung die Effekte auf Land, Wasser und Klima in der gleichen Größenordnung – nämlich jeweils um 81 bis 84 Prozent. Die optimierte Ernährungsweise bestehend aus überwiegend neuartigen Lebensmitteln konnte den Verbrauch sogar um 83 bis 87 Prozent senken. Diese hohen Werte können unter anderem durch die strengen Restriktionen in der Lebensmittelauswahl erklärt werden: Für möglichst günstige Bedingungen im Gesamtwasserverbrauch wurden bei der omnivoren Ernährung im Vorhinein die Lebensmittel Eier, tierische Fette und auch Zucker bei der Optimierung ausgeschlossen. Bei den land- und klimaschonenden Umweltszenarien dagegen nicht. Das bedeutet: Jede Diät wurde in drei Szenarien so restriktiv zusammengesetzt, dass die Folgen entweder für den Land- oder für den Wasserverbrauch oder – gemessen an den Treibhausgasemissionen – für das Klima minimiert wurden.

Wissenschaftliche Einordnung

Es wurden die Umweltfolgen von drei ökologisch optimierten Ernährungsformen im Vergleich zu einer konventionellen westeuropäischen Ernährungsweise untersucht:

1. Neuartige Ernährung mit Labormilch/-fleisch, Insekten oder Mykoproteinen.
2. Vegane Ernährung mit rein pflanzlichen Lebensmitteln.
3. Omnivore Ernährung mit (reduzierten) tierischen Produkten.

Jede Variante der drei Diäten wurde so zusammengesetzt, dass die Kalorien- und Nährstoffanforderungen erfüllt wurden.

Anreicherung statt Lebensmittelvielfalt?

Entgegen der Annahme, dass der Körper eine abwechslungsreiche und ausgewogene Ernährung benötigt, um die Vielzahl von Nährstoffen für den täglichen Bedarf abzudecken, zeigte die Studie, dass bei gleichzeitiger Restriktion der Nahrungsmittelvielfalt die Mikronährstoffe nur durch den Ersatz mit alternativen Proteinquellen und sorgfältig konzipierte Anreicherungs- und Ergänzungsmaßnahmen mit Nährstoffzusätzen bewältigt werden kann. Dabei wird die Anreicherung von Lebensmitteln als vorteilhafte Möglichkeit angeführt, um den allgemeinen Gesundheitszustand der Weltbevölkerung verbessern zu können. Für die bisher fehlende Evidenz dieser Annahme sollten Auswirkungen der Lebensmittelanreicherung mit mehreren Mikronährstoffen auf gesundheitsbezogene Endpunkte der Allgemeinbevölkerung, sowohl bei Männern, Frauen als auch Kindern, zukünftig mehr erforscht werden.

Suffizienz als Lösung?

Zur schlechten Umweltbilanz der konventionellen Ernährung trägt insbesondere der hohe Fleischkonsum bei. Laut der Studie macht allein dessen Reduzierung oder Ausschluss etwa 60 Prozent der positiven Bilanz der ökologisch optimierten Ernährungsformen aus. Die Studienergebnisse deuten darauf hin, dass das globale Ernährungssystem effizienter wäre, wenn die Menschen für einen mäßigeren Konsum bereit wären. Doch in Anbetracht der bedeutenden Rolle, die tierische Lebensmittel kulturübergreifend spielen, und der unzähligen Funktionen von Tieren im Nahrungsmittelsystem und deren Koppelprodukte für weitere Industrien, gestaltet sich eine umfassende Ernährungsumstellung als schwierig.

Umstellung, theoretisch machbar?

Die Szenarien tragen dazu bei, über die aktuelle und künftige Ernährung nachzudenken. Dennoch handelt es sich bei der Studie um eine rein mathematische Optimierung von Ernährungsweisen, die derzeit in der Alltagspraxis kaum Eingang finden könnten. Das bedeutet, dass die Studienergebnisse zeigen, was theoretisch möglich ist, aber nicht darstellen, was zukünftig und zeitnah realistischerweise zu erwarten ist. Dieser theoretische Ansatz erklärt auch die errechneten Einsparungen der Umweltwirkungen, die hier größer ausfallen als bei bisherigen Ökobilanzstudien. Die Unsicherheiten über die tatsächlichen Umwelt- und Gesundheitseffekte neuartiger Lebensmittel bleiben unberücksichtigt, vor allem wenn es um große Produktions- und Konsummengen geht.

Ein wesentlicher Faktor ist hierbei der Energieverbrauch, denn anstelle des Futters für Nutztiere benötigt die zelluläre Landwirtschaft mehr Energie im Produktionsprozess, etwa für das Heizen der Bioreaktoren. Die Treibhausgasemissionen hängen dementsprechend wesentlich von der Verfügbarkeit grüner Energieressourcen ab. Auch die Frage, inwiefern Menschen in Europa zukünftig tatsächlich ihren Protein- und Nährstoffbedarf über Insektenmehl und Co. decken, bleibt offen. Selbst wenn die Optimierungsmodelle innovative Ergebnisse für den Ersatz tierischer Lebensmittel durch neuartige Lebensmittel liefern, müssen die ausschlaggebenden Faktoren des möglichen Konsums berücksichtigt werden, die von Motiven des Geschmacks, der Gesundheit, der Vertrautheit, der Einstellungen, der Nahrungsmittelneophobie oder des Ekels und der sozialen Normen bestimmt werden. Neuartige Lebensmittel könnten also Optionen der Diversifizierung bieten, benötigen mit Markteinführung aber gezielte Aufklärungskampagnen über ihre möglichen Vorteile und Trade-offs für die eigene und planetare Gesundheit, um ihren Konsum gesellschaftlich zu fördern. Letztendlich entscheidet aber auch der Preis, inwiefern alternative Proteinquellen Eingang in die Alltagskultur finden werden.


Weitere Literaturhinweise

  • Hoek et al. (2011): Replacement of meat-by-meat substitutes. A survey on person- and product-related factors in consumer acceptance. Appetite 56(3): 662–673.
  • Das et al. (2019): Food fortification with multiple micronutrients: impact on health outcomes in general population. Cochrane Database of Systematic Reviews. DOI: 10.1002/14651858.CD011400.pub2.
  • Marcus et al. (2022): Exploring factors determining German consumers’ intention to eat meat alternatives. Institute for Food and Resource Economics, Department of Agricultural and Food Market Research, University of Bonn.
  • Rubio et al. (2020): Plant-based and cell-based approaches to meat production. Nat. Commun. 11: 6276.
  • Humpenöder et al. (2022): Projected environmental benefits of replacing beef with microbial protein. Nature. DOI: 10.1038/s41586-022-04629-w.