Aus dem Bündnis "Wir retten Lebensmittel!"
Handel(n) rettet Lebensmittel
© KErn
In Deutschland fallen jährlich rund 12 Millionen Tonnen Lebensmittelabfälle an (Schmidt et al., 2019). Der Lebensmitteleinzelhandel nimmt bei der Reduzierung und Vermeidung von Lebensmittelabfällen eine Vorbildfunktion ein. Durch den Einsatz moderner Logistik- und Prognosesysteme werden die Lebensmittelabfälle im Groß- und Einzelhandel bereits deutlich reduziert. In diesem Sektor fallen jährlich dennoch knapp 700.000 Tonnen Lebensmittelabfälle an, was 4 % der gesamten Lebensmittelabfälle entlang der Versorgungskette entspricht (im Vergleich dazu entsteht der Großteil der Verluste, etwa 52 % in den privaten Haushalten).
Um die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen (Sustainable Development Goal, SDG) zu erreichen, hat die Bundesregierung die „Nationale Strategie zur Reduzierung der Lebensmittelverschwendung“ entwickelt. Diese zielt darauf ab, die Lebensmittelverschwendung in Deutschland pro Kopf auf Einzelhandels- und Verbraucherebene bis 2030 zu halbieren.
Das 2016 entstandene bayerische Bündnis „Wir retten Lebensmittel“ verfolgt das Ziel, gemeinsam mit Akteuren entlang der Wertschöpfungskette Strategien und Maßnahmen auszuarbeiten und umzusetzen, die der Lebensmittelverschwendung gemäß der nationalen Strategie entgegenwirken. Die Initiative "Ideenwerkstatt Handel(n) rettet Lebensmittel" ist eine der 17 Maßnahmen des bayerischen Bündnisses und Teil der bundesweiten Aktionswoche gegen Lebensmittelverschwendung im Herbst 2021. Hier wurden verschiedenste Konzepte, Eindrücke und Ideen von Lebensmittelakteuren gesammelt, um anderen einen nachhaltigeren Umgang mit Lebensmitteln aufzuzeigen und zu ermöglichen.
Bundesweit fanden unter dem Motto "Deutschland rettet Lebensmittel" vom 29. September bis 31. Dezember 2021 Aktionen zum Thema Lebensmittelverschwendung statt. An der Aktionswoche beteiligen sich alle Sektoren der Lebensmittelversorgungskette. Teilnehmende aus den Bereichen Primärproduktion, Handel, Lebensmittelverarbeitung, Außer-Haus-Verpflegung und Private Haushalte machen mit verschiedenen Aktionen auf das Thema Lebensmittelwertschätzung aufmerksam. Anlässlich des internationalen Jahres für Obst und Gemüse standen diese beiden Lebensmittelgruppen im Mittelpunkt der damaligen Aktionswoche.
- Moderne Prognosesysteme und digitalen Warenwirtschaftssysteme für eine bedarfsgerechte Versorgung der Märkte mit frischer Ware
- Kurze Transportwege zwischen Lagerstandorten und den Märkten
- Lückenlose Kühlung von der Herstellung bis ins Regal
- Regelmäßige Schulungen der Mitarbeiter zum richtigen Umgang mit Lebensmitteln
- Reduzierte Bepreisung von Lebensmitteln kurz vor Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums (MHD)
- Aufdrucke wie: „Riechen. Probieren. Genießen.“ als Hinweis zur Haltbarkeit nach dem MHD
- Weitergabe nicht verkaufter Lebensmittel an karitative Einrichtungen
- Weiterverarbeitung von Waren, die den optischen Erwartungen der Verbraucher weniger entsprechen, qualitativ aber einwandfrei sind (beispielsweise zu To-Go-Angeboten wie frisch zubereiteten Smoothies, für Salat- und Früchtebars oder Suppenstationen)
- Angebot von losem Obst und Gemüse für einen bedarfsgerechten Einkauf
- Angebot von nicht „perfektem“ Obst und Gemüse in den Regalen der Lebensmitteleinzelhändler (Bsp.: Karotten Klasse II)
- Veröffentlichung von Fakten und Artikeln zur Vermeidung von Lebensmittelabfällen in Prospekten, per Social-Media und auf den Homepages
Auswahl von Lebensmittelrettern der Ideenwerkstatt
Viele kennen deshalb die Situation: zum Großeinkauf einen Joghurt oder Frischmilch gekauft. Zwischenzeitlich ändert sich die Wochenplanung und der Speiseplan: nach einigen Tagen steht der Artikel unverändert im Kühlschrank und das Produkt ist abgelaufen. Mit der Einführung der Frischegarantie auf typische Molkereiprodukte wie Joghurt, Quark, Butter, Käse, Pudding oder Desserts erhalten die Verbraucherinnen und Verbraucher länger haltbare Ware. Diese sind mindestens 6 Tage haltbar. Sollte ein Artikel übersehen worden sein, erhält ihn die Kundschaft kostenfrei. Die zusätzlichen Tage werden vor allem durch eine optimierte Logistik ohne Zwischenhändler realisiert. Sollte trotz verbesserter Bestellung und Logistik der Bedarf überschätzt sein, wird die Ware an soziale Einrichtungen gespendet, beispielsweise die Tafeln. Der V-Markt ist in Bayern mit 38 Filialen zwischen Oberstdorf und Regensburg vertreten.
Oft ist es für Märkte schwierig, Abnehmer für überschüssige Ware zu finden. Deswegen hat sich der EDEKA-Kaufmann Raphael Dirnberger eine eigene Lösung gesucht: „Einfach verschenken! Wir sparen Müllkosten und der Kunde freut sich über Gratisware!“ Im Laden werden abgelaufene Lebensmittel, leicht lädiertes Obst oder verbeulte Konservendosen an die Kundschaft verschenkt. Statt alles wegzuwerfen, kommen Nahrungsmittel, die nicht mehr verkauft werden können, in den sogenannten „Fair-Teiler“ des Markts im bayerischen Wenzenbach. In Bernhardswald und Regensburg befinden sich zwei weitere Filialen. Dort finden sich zusätzliche „Verschenke-Kisten“ im Bereich hinter der Kasse. Kunden können sich hier kostenlos bedienen. Besitzer Raphael Dirnberger ist begeistert: „Wir haben einen Container Müll pro Woche weniger. Damit sparen wir ja sogar noch Kosten. Das macht ein paar hundert Euro aus und das in jedem der drei Märkte!“
Der FoodHub ist der erste solidarische Mitmach-Supermarkt in München. Er gehört allen Mitgliedern der Genossenschaft und wird von ihnen verwaltet – denn jedes Mitglied, das im Markt einkaufen möchte, unterstützt die Gemeinschaft mit 3 Stunden Arbeit im oder für den FoodHub pro Monat. Der FoodHub bietet damit eine neue Art des Einkaufens: gemeinschaftlich getragen und nicht renditeorientiert. So wird es für jeden ganz einfach, zu ökologischen und gesellschaftlichen Veränderungen beizutragen. Karl Schweisfurth, Vorstandsmitglied des Mitmach-Supermarkts, erklärt stolz: „Die Mitglieder fühlen sich verantwortlich für ihren Laden. Sie kaufen bevorzugt die Lebensmittel, die bald ablaufen. So bleiben keine oder kaum Lebensmittel übrig.“ Reste werden also vermieden, bevor sie überhaupt erst entstehen können. Zur Unterstützung werden Artikel mit kurzem Haltbarkeitsdatum mit „Kauf mich bald“ oder „Kauf mich bis Samstag“ gekennzeichnet. „Nehmt die Verantwortung für die ganz Lebensmittelkette selber in die Hand.“, lautet die klare Botschaft.
Ziel der Community Kitchen ist es, die lokale Lebensmittelverschwendung im Raum München einzudämmen und sie ins Bewusstsein der Bevölkerung zu bekommen. Zu diesem Zweck wurde die ehemalige Kantine und Großgewerbeküche eines Bürogebäudes inklusive aller funktionstüchtigen Geräte angemietet. Dort können im Dreischichtbetrieb sieben Tonnen Lebensmittel zu etwa 10.000 Mahlzeiten verarbeitet werden. „Die Lebensmittel erhalten wir von Erzeugern, Weiterverarbeitern, Großhändlern, sowie Supermärkten, weil wir dort größere Mengen retten können.“, so Gründerin Günes Seyfarth. Angeschlossen an die Produktionsküche ist ein zweiteiliger Gastraum, in dem ein Teil der Speisen serviert und Veranstaltungen durchgeführt werden. Das Lokal bietet Speisen an, die zu mindestens 80 % aus geretteten Lebensmitteln zubereitet werden – auch zum Mitnehmen. Darüber hinaus werden gerettete Lebensmittel zu herzhaften Mahlzeiten, Marmeladen oder Chutneys verarbeitet, in Gläsern konserviert und im Handel oder über den eigenen Online-Shop verkauft.