Faktenübersicht
In-vitro Fleisch als gesündere Alternative?
Short Facts:
- Die technologischen Herausforderungen im Zusammenhang mit der Herstellung von in-vitro Fleisch verhindern derzeit eine umfassende Bewertung.
- Es kann abgeleitet werden, dass sich in-vitro Fleisch in seinen ernährungsphysiologischen Eigenschaften bislang von traditionellem Fleisch unterscheidet.
- Die Nährwerte von kultiviertem Fleisch könnten den Urprodukten ähnlicher werden – die Komplexität der erforderlichen Medienzusammensetzung würde die Kosten und den ökologischen Fußabdruck im gesamten Prozess erhöhen.
- Alternativ könnten Nährstoffe postkulturell zugesetzt werden (vgl. pflanzliche Ersatzprodukte), was voraussichtlich die Verbraucherakzeptanz mindern würde.
- Unklar ist, ob die durch hohen Fleischkonsum verursachten Herausforderungen durch in-vitro Fleisch gelöst werden könnten, oder ob sich bspw. durch einen vergleichsweise hohen Konsum ähnliche gesundheitliche Risiken ergeben würden.
Hintergrund
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In-vitro Fleisch ist Fleisch, welches synthetisch hergestellt wird. Dem kultivierten Fleisch werden potenzielle Vorteile gegenüber traditionellem Fleisch im Zusammenhang mit Nachhaltigkeit, Umweltfreundlichkeit, Tierschutz, der Lebensmittelsicherheit sowie der Gesundheitsaspekte zugesprochen. Durch eine optimierte Zusammensetzung und den kontrollierten Herstellungsprozess könnte in-vitro Fleisch eine gesündere und sichere Alternative zu herkömmlichem Fleisch sein. Allerdings liegen bisher noch keine Studien zu den gesundheitlichen Aspekten von in-vitro Fleisch vor. Zudem gehören zu den technologischen Herausforderungen die Skalierung des Produktionsprozesses, die Senkung der Kosten, die Optimierung serumfreier Kulturmedien, die strukturähnliche Herstellung verschiedener Fleischsorten sowie die Zugabe von Fett.
Die Anpassung der Herstellungskosten spielt eine entscheidende Rolle, damit in-vitro Fleisch in Zukunft zu akzeptablen Preisen erzeugt und die Produkte am Markt angenommen werden. Konsumentinnen und Konsumenten bezeichnen in-vitro Fleisch zudem häufig als „unnatürlich“ und begegnen sogenannten Novel and Future Foods (NFFs) erstmal mit Ablehnung und weniger mit Neugier. Um diesem Konservatismus begegnen zu können, bedarf es eine aktive Aufklärung über die Konsumvorteile.
Aktueller Sachstand
Kultiviertes Fleisch hat den Anspruch biologisch gleichwertig zu traditionellen Fleischerzeugnissen zu sein. Es gilt, die sensorischen und ernährungsphysiologischen Eigenschaften von in-vitro Fleisch mit traditionellen Fleischerzeugnissen im Durchschnitt zu vergleichen, um bestehende Gemeinsamkeiten und Unterschiede auszumachen.
Welche Nährstoffe stecken in Fleisch?
Durchschnittlich hat Fleisch einen Gehalt von etwa 20 % an biologisch hochwertigem Eiweiß. Es besteht zu 10–40 % aus Fett und nur zu geringen Mengen aus Kohlenhydraten (Glykogen). Zudem enthält Fleisch verschiedene Mineralstoffe (1–2 %): Zu den wichtigsten zählen Zink, Selen und Eisen. Bei den Vitaminen können die B-Vitamine – Vitamin B1 (Thiamin, insbesondere in Schweinefleisch), Vitamin B6 (Pyridoxin) und Vitamin B12 – und Vitamin A genannt werden. Der Anteil an der täglichen Zufuhr von Nährstoffen durch Fleisch und Fleischwaren beträgt in Deutschland für Eiweiß 35 %, Fette 30 %, Vitamin A knapp 50 %, Vitamin B1 (Thiamin) 35–40 %, Vitamin B2 (Riboflavin) 25–30 %, Vitamin B6 (Pyridoxin) 25 %, Niacin 35–40 %, Eisen 20 %. So können Fleischprodukte zur täglichen Aufnahme von Vitamin B12 (38 % der täglichen Vitamin B12-Zufuhr), Zink (33 %), Protein (29 %), einfach ungesättigten Fettsäuren (22 %) und Cholesterin (33 %) beitragen.
Aus ernährungsphysiologischer Sicht sind die teilweise hohen Gehalte an Fett, Cholesterin und Purinen zu beachten, die besonders bei Wurstwaren und Innereien vorliegen. Epidemiologische Hinweise, ein vermehrter Fleischverzehr führe zu einer Erhöhung des Krankheitsrisikos, z.B. in Bezug auf manche Krebsarten, werden kritisch diskutiert – Ein reduzierter Fleischkonsum mindert hingegen nicht per se das gesundheitliche Risiko, kann aber einen Beitrag dazu leisten, dass anteilig mehr Gemüse und Obst verzehrt wird.
Ernährungsphysiologische Aspekte von in-vitro Fleisch
Derzeit stehen keine Prototypen von kultiviertem Fleisch für eine unabhängige technologische, sensorische und ernährungsphysiologische Bewertung zur Verfügung. Für eine endgültige Bewertung des Gesundheitswertes ist die Datenlage unzureichend. Es können aber folgende potenzielle Eigenschaften von in-vitro Fleisch abgeleitet werden:
In-vitro Fleisch könnte die Möglichkeit bieten, ein angepasstes Nahrungsmittel unter kontrollierbaren Laborbedingungen zu produzieren. Da der Herstellungsprozess „tierfrei“ ist, könnte die Gefahr von Zoonosen, also von Krankheiten, die sowohl vom Tier auf den Menschen als auch vom Menschen auf das Tier übertragen werden können, reduziert werden. Allerdings könnte das fetale Kälberserum und andere tierische Komponenten, die notwendig werden, um das Nährstoffprofil von in-vitro Fleisch zu optimieren, ein Erregerpotenzial enthalten. Ein Vorteil der kontrollierten Laborbedingungen könnte die Reduktion von Antibiotika sein, was der steigenden Zahl resistenter Krankheitserreger entgegenwirken könnte. Allerdings wären Antibiotika nur bei einer Herstellung unter sterilen Bedingungen gänzlich verzichtbar.
Insgesamt ist unklar, inwiefern der Proteingehalt und die Zusammensetzung kultivierter Zellen dem von traditionellem Fleisch ähneln. Das liegt vor allem an den postmortalen Stoffwechselprozessen im Fleisch und den fehlenden Informationen darüber, inwiefern in kultiviertem Fleisch ähnliche biochemische Prozesse bei der Ausdifferenzierung von Muskelzellen stattfinden. Bisher konnte festgestellt werden, dass die Isoformen von Aktin und Myosin in kultivierten Muskeln überwiegend neonatal oder embryonal und nicht adult vorliegen. In der Folge könnten sich je nach Isoform Unterschiede in der Textur, im Geschmack und Produktqualität ergeben. Inwieweit sich Nährstoffe wie Vitamine und Mineralstoffe in akkumulieren lassen, wie es physiologisch unter natürlichen Bedingungen im Tierkörper der Fall ist, kann derzeit nicht demonstriert werden.
Für ein gesundheitsförderliches Produkt könnte die Reduktion des Fettgehaltes eine kontrollierte Anpassung darstellen. Der Gehalt an Fett und dessen Fettsäurezusammensetzung wird bei klassischen Fleischerzeugnissen durch die Tierart, Rasse, das Alter und Futter mitbestimmt. Für die Produktqualität spielt aus ernährungsphysiologischer Sicht neben dem Gesamtfettgehalt (Kaloriengehalt) auch das Verhältnis von gesättigten, ungesättigten und mehrfach ungesättigten Fettsäuren eine Rolle. Durch Co-Kulturen von Adipozyten (Fettstammstellen) könnten verschiedene gesättigte und ungesättigte Fettsäuren synthetisiert und dem Nährmedium zugesetzt werden, um die Fettsäurezusammensetzung zu definieren. Diesem Ansatz könnten neben essenziellen Fettsäuren, häufig Linolsäure und α-Linolensäure, aber auch Verbindungen fehlen, die primär durch die Biohydrierung bei Wiederkäuern entstehen und aufgrund dessen im Fleisch vorhanden sind. Es gilt herauszufinden, inwieweit essenzielle Fettsäuren den Nährmedien zugesetzt werden können, ohne dessen Wachstum und die Lipogenese zu beeinträchtigen oder den gewünschten Kaloriengehalt im Endprodukt zu übertreffen.
Auch zugesetzte Mineralstoffe könnten den Gesundheitswert erhöhen. Bisher liegen noch keine Studien zu gesundheitlichen Aspekten von in-vitro Fleisch vor. Auch der gesundheitliche Mehrwert von Lebensmitteln mit zugesetzten Mikronährstoffen konnte bisher nicht wissenschaftlich nachgewiesen werden. Insofern bleibt offen, ob die Aufnahme von Eisen, Zink und Selen in der vorliegenden Form und bisherigen Konzentrationsmenge überhaupt einen gesundheitsförderlichen Mehrwert liefern könnten.
Als adäquater Fleischersatz sollte in-vitro Fleisch ähnliche Mengen an Vitamin B12 wie das Urprodukt enthalten. Bisher ist unklar, ob die Aufnahme von Vitamin B12 aus dem Nährmedium zu vergleichbaren Vitaminspiegeln in kultiviertem Fleisch führt, die mit traditionellem Fleisch vergleichbar wären. Die Aufnahme von Vitamin B12 erfordert außerdem ein bindendes Protein (Transcobalamin II), welches den Transport über die Zellmembran ermöglicht. Dies könnte eine zusätzliche Herausforderung darstellen, um ausreichende Vitamin-B12-Spiegel in kultiviertem Muskelgewebe zu erreichen.
Fleisch enthält bioaktive Verbindungen, die für die menschliche Gesundheit von Vorteil sind. Dazu zählt u.a. Taurin, eine freie Aminosäure, die bei vielen Stoffwechselprozessen eine Rolle spielt. Eine hohe Nahrungsaufnahme wurde mit einer schützenden Wirkung gegen Herz-Kreislauf-Erkrankungen in Verbindung gebracht, weshalb ein erhöhter Tauringehalt in in-vitro Fleisch einen potenziellen gesundheitlichen Mehrwert bieten könnte. Neben dem ernährungsphysiologischen Vorteil erhöht Taurin die Effizienz des Produktionsprozesses, da die Zelldifferenzierung im Nährmedium verbessert wird.
Ähnliche Effizienzsteigerungen konnten durch die Zugabe von Kreatin erzielt werden. Kreatin gilt beim Muskelaufbau als vorteilhaft und konnte mit einer verbesserten kognitiven Funktion bei gesunden Erwachsenen und älteren Menschen in Verbindung gebracht werden. Allerdings zeigt sich an dieser Stelle, dass die Erhöhung auch gesundheitsschädliche Auswirkungen haben kann: Wird Kreatin erhitzt bilden sich krebserregende heterocyclische Amine. Ähnliche gesundheitliche Nachteile durch die sogenannte Maillard-Reaktion konnten bereits in traditionellen Fleischerzeugnissen festgestellt werden. Offen bleibt, ob die Konzentrationen dieser Verbindungen in kultiviertem Fleisch gesenkt werden können, ohne die sensorischen und ernährungsphysiologischen Aspekte zu beeinträchtigen und ob, entgegen der Annahme, dass gesundheitliche Probleme durch in-vitro Fleisch gelöst werden könnten, sich möglicherweise durch den Konsum fleischähnliche gesundheitliche oder neue Risiken ergeben würden.
Wissenschaftliche Einordnung
Expertinnen und Experten aus dem Bereich Tissue Engineering bezweifeln, dass die bestehenden technologischen Herausforderungen in der nächsten Zeit oder auch zukünftig lösbar werden. Ein Indiz dafür ist, dass geplante Markteintritte im Zeitplan immer wieder nach hinten verschoben werden. Demgegenüber stehen optimistische Stimmen der Innovatoren und Investoren von in-vitro Fleisch, die bereits in der Vergangenheit proklamierten, dass z.B. Produktionskosten erheblich gesenkt werden konnten und so ein Markteintritt zeitnah möglich wird. Durch die Intransparenz der Produktionsprozesse und -fortschritte ist eine Bewertung derzeit kaum möglich.
Die nötige Komplexität der Nährmedienkomposition sowie der notwendige Forschungs- und Entwicklungsbedarf von tierfreiem Serum, könnten die Produktionskosten jedoch eher steigern, um den Konsumentinnen und Konsumenten ein ernährungsphysiologisches Substitut zu Fleisch anbieten zu können, welches schmeckt und sich darüber hinaus positiv auf die Gesundheit von Menschen und Umwelt auswirken soll. Teil des weiteren Forschungsbestreben sollte neben den Potenzialen auch mögliche Risiken sein. Auch wenn in-vitro Fleisch eine Alternative zu traditionellem Fleisch darstellen kann, kann kultiviertes Fleisch aktuell allenfalls als Teillösung im Prozess zu einer nachhaltigeren Ernährung betrachtet werden.
Literaturverweise
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